|
Reaktiver Verstand
Dieser Begriff wurde als “reactive mind” von Hubbard erstmals 1950 in seinem Buch “Dianetik”* verwendet. Dass das englische “mind” mit Verstand übersetzt wurde, ist irreführend, denn im täglichen Sprachgebrauch wird Verstand i.d.R. mit Vernunft gleichgesetzt. Damit hat der R.V. aber nichts zu tun. In der englischen Sprache kann “mind” auch Gemüt, Psyche, Seele, Sinn, Gedanke, Vorahnung usw. bedeuten. Trotzdem trifft keines dieser Wörter exakt das, was mit “reactive mind” tatsächlich gemeint war.
Hubbard behauptete damals, der R.V. wäre die einzige Quelle von Aberrationen* und psychosomatischen* Krankheiten. Er bezeichnete ihn prinzipiell als das, was die Freudsche Psychoanalyse* das Unbewusste nannte und was heute als Unterbewusstsein* bezeichnet wird. Es handelt sich um einen Bereich, in dem Erfahrungen des Individuums gespeichert sind, die wegen ihrer schmerzlichen Natur* verdrängt* wurden und deshalb dem Bewusstsein* nicht (mehr) zugänglich sind. Gleichwohl haben sie Auswirkungen auf die Stimmungslage einer Person, auf ihr körperliches Wohlbefinden (einschließlich Krankheiten), auf ihre Ziele, Gedanken und Entscheidungen, auf ihre Beziehungen zu Anderen usw.
Hubbard korrigierte später seine Auffassung und verkündete, dass nur die eigenen Postulate* ein Wesen aberrieren* könnten. Damit änderte sich der Blick auf das Unterbewusstsein, was für ihn jedoch keine Veranlassung war, die bis dahin schriftlich erfolgten Darstellungen zu ändern. Er verfuhr auch hinsichtlich anderer Themen generell auf diese Weise. Offenbar hatte er Schwierigkeiten damit einzugestehen, sich zu einem früheren Zeitpunkt geirrt zu haben. Für die Anwender seiner Techniken war das immer wieder mit Verwirrung verbunden, weil bis heute sich widersprechende Hubbard-Referenzen existieren.
Soweit nachfolgend vom R.V. gesprochen wird, ist damit der nicht im Gehirn angesiedelte Bereich des spirituellen Gedächtnisses gemeint, in dem geladene* Sachverhalte gespeichert sind und auf den das Bewusstsein nicht oder nur sehr eingeschränkt zugreifen kann.
Der folgende Text beschreibt den R.V. so, wie er von Hubbard lange gesehen wurde.
Der R.V. arbeitet auf einer Reiz-Reaktions-Basis und denkt deshalb nicht analytisch. Seine Wahrnehmungen und Entscheidungen sind irrational. Die Menschheit wusste lange Zeit gar nichts über den R.V. Selbst seine Existenz war nicht bekannt. Aus einzelnen Manifestationen menschlichen Verhaltens hat man sich im Laufe der Zeit induktiv der Vorstellung genähert, dass dafür etwas verantwortlich sein müsste, das nach einem bestimmten, sich wiederholenden Schema abläuft. Freud hatte zunächst das richtige Konzept, geriet jedoch auf Abwege, als er die These aufstellte, dass das Unbewusste prinzipiell auf verdrängte Sexualität reduziert werden könnte (Libidotheorie). Die auf ihn zurückgehende Psychoanalyse* hat auch heute noch die Vorstellung, dass man unbewusste Mechanismen durch Traumdeutung und “freie Assoziation” entschlüsseln könne. Auch wenn es Ärzte sind, die sich damit beschäftigen, so wird die Wirksamkeit der Psychoanalyse vielfach bezweifelt, denn nennenswerte Erfolge hat sie kaum aufzuweisen.
Hubbard hat sich sehr intensiv mit dem R.V. beschäftigt. Er betrachtete ihn als selbständige Einheit, die unabhängig vom Bewusstsein existiert. Nach seiner Definition besteht der R.V. aus
Unbekanntsein
Zeitlosigkeit
Überleben
Größter Nachteil des R.V. ist seine Unfähigkeit, die Zeit* oder die Art des aufgezeichneten Geschehnisses für eine Differenzierung heranzuziehen. Alles ist gleich wichtig. So setzt zum Beispiel der Anblick eines bissigen Hundes sämtliche Alarmglocken in Gang, auch wenn der Angriff eines solchen Tieres vielleicht schon 50 Jahre zurückliegt. (Lesen Sie in diesem Zusammenhang auch die Definition von Phobie*.) Wegen dieser Unfähigkeit erschafft der R.V. für den hochentwickelten und mit Sprache ausgestatteten Menschen inzwischen wesentlich mehr Probleme als er löst. Dies ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass der R.V. in der Lage ist, zeitweilig die Kontrolle der menschlichen Emotionen und Handlungen zu übernehmen. Das sind zum Beispiel die Fälle, bei denen das Individuum in einen Erregungszustand gerät und etwas Verrücktes tut. Später hat die Person selbst keine Erklärung für ihr Verhalten. Manche berichten sogar, sie hätten gewissermaßen neben sich selbst gestanden und sich dabei beobachtet, wie sie etwas Schreckliches taten. Die Erregung, die in einem solchen Zustand gesprochen Worte sowie die begangenen Handlungen wurden der Person vom R.V. aufgezwungen. Gleichwohl wird sie von der Gesellschaft für ihr Verhalten verantwortlich gemacht und ggf. zur Rechenschaft gezogen. So sind die Gefängnisse voll von Leuten, die bei genauer Betrachtung selbst nicht wissen, warum sie dies oder jenes getan haben.
Der Bestrafungsaspekt ist also immer dann fragwürdig, wenn die Straftat vom R.V. veranlasst wurde. Ihm sind die gesellschaftlichen Konsequenzen völlig gleichgültig, denn er wägt nicht ab, sondern entscheidet nach seinem eigenen Programm wie ein Roboter. Dies macht zugleich deutlich, dass hohe Strafandrohungen nicht geeignet sind, reaktiv bedingte Straftaten zu verhindern. Morde werden auch dann begangen, wenn darauf die Todesstrafe steht.
Der R.V. ist mehr als nur ein Gedächtnisspeicher, denn er agiert selbständig wie ein Computer mit eigenem Betriebssystem.
Der R.V. ist in diesem Kontext gleichfalls ursächlich für selbstzerstörerische Gedanken und Aktivitäten. Dazu zählen Suchtphänomene, Selbstabwertung, Selbsthass, Selbsttötung. Wer sich selbst nicht mag, kann auch für Andere keine wirkliche Affinität empfinden. Die Folge ist eine als abscheulich und ausweglos empfundene Isolation, die sich vielfach in schweren Depressionen* manifestiert. Wer unter depressiven Verstimmungen leidet, sieht die Welt, wie sie ihm vom R.V. suggeriert wird, nämlich hässlich, grau und trist. Eine Fortsetzung des Lebens erscheint solchen Personen dann vielfach als sinnlos.
Der R.V. ist für den Menschen eine absolut entbehrliche Einrichtung, denn er enthält ausschließlich reaktive Daten. Der Rückruf analytischer Daten unterliegt einem anderen Mechanismus, der jedoch vom R.V. behindert und getäuscht werden kann. Je mehr der R.V. durch Auditing* beseitigt wird, desto besser funktioniert der analytische Rückruf des Menschen. Dessen Abwesenheit bedeutet daher keinen Verlust, sondern einen Zuwachs an verfügbaren analytischen Daten. Als spirituelle Technik arbeitet Auditing deshalb zielgerichtet an der Beseitigung des R.V.
Der R.V. zeichnet rund um die Uhr detailliert alles auf, was er für gefährlich hält und löst “Alarm” aus, wenn er etwas wahrnimmt, das er dafür hält. Dass er immer wach ist, unterstreicht den Umstand, dass er sich als spirituelles Etwas nicht im Gehirn befindet und damit nicht den Schlafzyklen unterworfen ist.
Anmerkung: (wortgleich zu finden im Beitrag “Phobie”). Mediziner, zu denen auch die Psychiater zählen und die alles organisch (materiell) erklären wollen, behaupten, dass ein bestimmtes Areal unseres Gehirns, das als “Mandelkern” oder “Amygdala” bekannt ist, diese Funktion hätte und bei “Gefahr” Alarm auslöse. Sie meinen, wenn man bei Menschen die Amygdala operativ entferne, hätten sie ab sofort keine Ängste mehr und würden völlig furchtlos durchs Leben gehen. Wie eine auf der Website http://www.nature.com/neuro/journal/v16/n3/full/nn.3323.html veröffentlichte Studie beweist, ist das ein Irrglaube. Bei Personen, denen die Amygdala entfernt worden war, konnte nachgewiesen werden, dass auch sie durch bestimmte Reize in Angst versetzt werden konnten.
Bei einem getrübten oder ganz ausgeschalteten Bewusstsein ist der R.V. besonders wach und aktiv. Getrübt ist das Bewusstsein zum Beispiel unter der Einwirkung von Alkohol. Die analytische Kontrolle lässt dabei nach oder fällt ganz aus. Der R.V. wird stattdessen schon durch nichtige Dinge restimuliert*. Unter Alkoholeinfluss kommt es daher bereits bei geringfügigen Anlässen zu Rohheits- und Tötungsdelikten.
Ganz ausgeschaltet ist das Bewusstsein regelmäßig durch Narkotika. Wenn ein Patient zum Beispiel unter Vollnarkose operiert wird, speichert der R.V. fortlaufend alle Schmerzen, Geräusche, gesprochenen Worte, Gerüche usw. Eine solche Aufzeichnung nennt man Engramm*. Es kann (angeblich) bis zu 52 unterschiedliche Wahrnehmungen enthalten und zur Ursache schwerer psychosomatischer Krankheiten werden. Mit der Hilfe des Auditors ist der ehemalige Patient auch nach vielen Jahren oder Jahrzehnten noch in der Lage, diese Dinge, von denen er nichts wusste, zu finden und unschädlich zu machen. Gleiches gilt für hypnotische Befehle, die vom Hypnotiseur direkt im R.V. verankert werden und von denen der Betroffene ebenfalls nichts weiß. Solche Befehle fungieren wie selbst erzeugte Postulate*.
Wenn Sie nachts träumen, tauchen Sie tief ein in den Bereich des R.V. Sofern Sie sich morgens noch daran erinnern, bekommen Sie stets neu eine Realität darüber, wie chaotisch der R.V. strukturiert ist. Das, was Ihnen dort an verworrenen Bildern und Daten angeboten wird, stammt direkt von ihm. Während des Träumens konstruiert der R.V. oft Geschehnisse, die sich in der Vergangenheit so nie zugetragen haben, und er lässt darin vorkommende Personen (einschließlich des von ihm kontrollierten Individuums) Dinge sagen, die sie so nie geäußert haben. Die in unangenehmen Träumen gesprochenen Worte sind häufig Ausdruck destruktiver Absichten und/oder vorhandener Ängste.
Der Psychotiker lebt bereits in einer Vorstufe dieses Traum-Szenarios. Bei ihm übt der R.V. ständig ein hohes Maß an Kontrolle aus und gaukelt Dinge vor, die in Wahrheit gar nicht vorhanden sind. Der Psychotiker sieht Bilder oder hört Geräusche (auch Stimmen), die er für Wahrnehmungen der Gegenwart hält, die aber Aufzeichnungen der Vergangenheit sind oder vom R.V. schlicht erfunden wurden.
Das E-Meter* verschafft bei richtiger Anwendung kontrollierten Zugang zum Reaktiven Verstand.
Alternativ hat Hubbard auch den Begriff “bank” verwendet. “Bank” ist im Deutschen ein (nicht mehr häufig gebrauchtes) Wort aus der Computersprache und bedeutet einen definierten Bereich des Speichers. Den R.V. nur als Speicher zu bezeichnen, wäre unzureichend, denn, wie oben bereits dargelegt, kann er selbst aktiv werden und massiv Kontrolle über das Individuum ausüben. Um beim Computervergleich zu bleiben, wäre es zutreffender, den R.V. als autonomen Rechner anzusehen, der mit dem Hauptrechner vernetzt ist, aber ein verrücktes Betriebssystem besitzt. Die Vernetzung besteht auf eine Weise, dass dieser Nebenrechner beliebig in die Abläufe des Hauptrechners eingreifen kann, Letzterer jedoch keinen Zugriff auf den Speicher und erst recht nicht auf die CPU* des Nebenrechners hat.
Auch wenn der R.V. geistige Eindrucksbilder enthält, die per Hubbards Definition aus Masse und Energie bestehen, ist er ein spirituelles Phänomen und kann auf dem Weg über das Gehirn kausal nicht behandelt werden. Solange sie eingenommen werden, können Psychopharmaka einige Manifestationen psychischer Erkrankungen unterdrücken, ihre Einnahme stellt jedoch nur eine symptomatische Behandlung dar und führt deshalb nicht zur Heilung. Soll also zum Beispiel jemand von einer depressiven Erkrankung dauerhaft genesen, muss an den Stellen im R.V. angesetzt werden, die das verursachen. Am besten dadurch, dass man den R.V. mittels Auditing gänzlich beseitigt. Wird der Patient stattdessen nur mit Psychopharmaka behandelt, kann eine Depression sogar noch schlimmere Formen annehmen. Das Medikament kann zwar Reize vom R.V. fernhalten und auf diese Weise das Auftreten von Ängsten verhindern, es werden so jedoch auch positive Wahrnehmungen abgesperrt, die die Stimmung des Patienten anheben könnten. Am Ende erscheint ihm alles in einem einheitlichen Grau.
Philosophisch besteht der R.V. auch nach dem Körpertod fort und wird von der unsterblichen Seele* weiter mitgeführt. Diese Annahme ergibt sich durch die Feststellung, dass der Mensch in der Lage ist, sich mittels geeigneter Techniken an Traumata* zu erinnern, die nicht aus dem aktuellen Leben stammen. Daraus leitet sich ab, dass der R.V. immer weiter anwächst und sich der psychische Zustand des Individuums dadurch kontinuierlich verschlechtert. Dies erklärt, warum manche Säuglinge oder Kleinkinder sich psychisch bereits in einem desolaten Zustand befinden, obwohl die Umwelt noch keine Gelegenheit hatte, schädigend auf sie einzuwirken. Eine Reinkarnation* würde daher keinen Neubeginn bedeuten, sondern auf dem aufbauen, was bereits vorhanden ist. Eine Selbsttötung wäre deshalb nur eine sehr kurzfristige Abhilfe für jemanden, der glaubt, seine derzeitigen Schwierigkeiten nicht länger ertragen zu können.
|